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KURZKRIMIS
SACHTEXTE
Punkt KOCHKURS MIT TODESFOLGE
KURZKRIMI - 6000 ZEICHEN - © BY JENS KLAUSNITZER

Tanja Fischer stellte zufrieden fest, dass das Tränengas seine Wirkung nicht zu verfehlen schien: Carsten Heimann taumelte zurück und riss mit einem Stöhnen die Hände vors Gesicht. „Halten Sie sich den Angreifer wirkungsvoll vom Leib!", hatte die Verpackung der Pistole versprochen, daran erinnerte sich Tanja. Und das kleine schwarze Ding erfüllte dieses Versprechen! Ihre Zufriedenheit wich allerdings blankem Entsetzen, als Carsten völlig orientierungslos versuchte, sich am Treppengeländer fest zu halten, keinen Halt fand und dann auf der Treppe danebenrat. Sie konnte nicht eingreifen, zu schnell stürzte Carsten mit einem Schrei, den sie nie vergessen würde, die Stufen hinab und blieb unten regungslos liegen ...  Alles hatte einem Dienstagmorgen begonnen. Tanja schlug die Zeitung auf, überflog die Schlagzeilen auf Seite zwei, ignorierte Wirtschafts- und Sportteil und lachte über die Bekanntschaftsanzeigen. Auf den Regionalseiten entdeckte sie das neue Programm der Volkshochschule. „Ich werde an einem Kochkurs teilnehmen!", entschied sie spontan. „Was meinst du?" Peter wusste, dass er als vorbildlicher Ehemann nun eigentlich hätte sagen müssen: „Was soll der Unsinn, Schatz? Du kochst hervorragend!" Oder zumindest: „Das hast du doch nicht nötig!"  Als er allerdings an einen deftigen Schweinebraten und ein saftiges Schnitzel dachte, geriet er in tiefe Gewissenskonflikte. Keine jämmerlichen Tütensuppen aus dem Regal für Sonderangebote mehr, nie wieder die unvermeidlichen Makkaroni am Wochenende? Er konnte der Verlockung nicht widerstehen und ließ ein vorsichtiges „Wenn du meinst, dass es sein muss!" hören. Sie griff sofort zum Telefon und meldete sich an.  Die erste Unterrichtsstunde erwies sich im wahrsten Sinne des Wortes als „Schnupperstunde", allerdings nicht so, wie es in der Anzeige gemeint war. Durch das verheißungsvolle Ungleichgewicht von sieben weiblichen Teilnehmerinnen, einer alternden Ex-Köchin und nur einem männlichen Teilnehmer, entstand das Interesse an Töpfen und Pfannen erst gar nicht im gewünschten Umfang.  Als Carsten, ein schlanker Mann mit dunklen, nach hinten gestylten Haaren und liebevollen Augen, sich als Single outete, brach der Krieg los. Alle strengten sich an, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, die Kursleiterin verzweifelte fast, weil niemanden wirklich interessierte, was auf den Kochplatten geschah. „Was soll ich denn nur machen, ich schaffe das nicht!", tönte es aus der einen Ecke, während es in der anderen Ecke hieß: „Um Gottes willen, was ist denn das?"  Carsten war überall, half mit Worten hier und verteilte Komplimente dort. Er genoss den Kampf um seine Gunst. Da er Raucher war und sich in den Pausen in der entsprechenden Ecke des Gebäudes aufhielt, war natürlich passives Rauchen kein Thema mehr.  Der Kurs war auf sieben Abende angesetzt, Tanja ging schon am vierten Abend als strahlende Siegerin vom Herd. „Wir könnten doch noch irgendwo in Ruhe einen Cappuccino trinken!", schlug Carsten vor. „Das ständige Kochen ist ja wirklich harte Arbeit!"  Er ließ keinen Zweifel daran, dass dieses Angebot nur für Tanja galt. Um sich nicht sechsfachen Hass aufzuladen, sah Tanja deshalb leicht desinteressiert auf ihre Armbanduhr, überlegte einen Moment und meinte dann: „Na ja, gut, ich bin einverstanden! Eine halbe Stunde habe ich sicher Zeit!" Dass sie und Carsten den Begriff „halbe Stunde" sehr fantasievoll auslegten und sie erst eine Stunde nach Mitternacht seine Wohnung verließ, konnten ihre zu Hause die Niederlage verdauenden Konkurrentinnen nicht wissen. Obwohl sie es sicher ahnten!  „Ich habe mich in dich verliebt!", gestand Carsten beim nächsten Kursabend leise. Das Interesse der anderen Frauen an Carsten war schlagartig verschwunden, alle kümmerten sich nun hingebungsvoll um die Rezepte und ignorierten die beiden. Tanja ging es - in gewisser Weise - ähnlich: Sie musste die Beziehung zu Carsten beenden, um ihre Ehe, ihr Haus und ihr großzügiges monatliches Taschengeld nicht zu gefährden.  „Es ist unmöglich! Wir werden keine Ruhe vor meinem Mann finden!", raunte sie ihm zu, als er sie wieder einmal bedrängte, sich doch sofort scheiden zu lassen und zu ihm zu ziehen. Als Zugabe schilderte Tanja die angebliche Rachsucht ihres Mannes so, dass jeder „Pate" vor Neid blass geworden wäre. Carsten aber gab nicht auf, wie ein verknallter Teenager stolperte er an den letzten beiden Kursabenden um sie herum. An den Tagen zwischendurch rief er tagsüber bei ihr an, lachte, bettelte und weinte. Als er drohte, selbst ihren Mann anzurufen und so ihn zur Scheidung zu treiben, musste Tanja etwas tun.  Sie setzte auf volles Risiko, als sich ihr Mann zu seinem wöchentlichen Volleyballabend verabschiedete: Sie rief Carsten an und bestellte ihn zu einer Aussprache zu sich, das schien ihr die schnellste und effektivste Methode zu sein, ihr „Männerproblem" zu lösen.  Er brauchte keine zehn Minuten. Allerdings wollte er nicht reden, sondern ihr beim „Zehn-Minuten-Kuscheln" noch einmal verdeutlichen, was ihr entging, wenn sie ihn mit einem „abschlägigen Bescheid" aus dem Haus warf. Als er sie ins Schlafzimmer ziehen wollte, sah sie in Gedanken das Gespenst des vorzeitig heimkehrenden Ehemannes umgehen. Sie holte die Gaspistole ...  Gegen zehn kam Peter tatsächlich zurück, gut gelaunt und abgekämpft. Er betrachtete fassungslos erst den mit blutverkrustetem Gesicht reglos am Boden liegenden, unbekannten Gast des Hauses, dann seine vor dem offensichtlich Toten hockende Ehefrau. „Ein Einbrecher!", wimmerte Tanja. „Ich musste ihn erschießen!"  Peter war ganz Beschützer in der Not. „Ich nehme das auf mich, damit dir die Fragen der Polizei erspart bleiben, Liebes!", versprach er sofort. Tanja hatte die Kulisse des vermeintlichen Überfalls schon ein wenig gestaltet, eine Vase lag zerbrochen am Boden, ein paar Schränke standen offen. Eine Kleinigkeit hatte sie allerdings vergessen. „Sag mal, Liebes, wie ist der Kerl eigentlich ins Haus gekommen?"  Tanja zog es vor, in Ohnmacht zu fallen. Ein paar Minuten Ruhe noch vor der großen Katastrophe.


Punkt RASTLOS AN DER RASTSTÄTTE
KURZKRIMI - 6000 ZEICHEN - © BY JENS KLAUSNITZER

Peter Becker lenkte seinen MAN auf einen Stellplatz neben dem Raststättengebäude. Als er das Fahrzeug verschloss, musste er an Hassinger denken, den Lagerverwalter, den guten Geist also, von Lorenz & Fabian. Manchmal konnte aus diesem guten ein ganz schön nerviger Geist werden, besonders dann, wenn der Feierabend schon am Horizont zu erkennen war.  „Sie kommen recht spät, Herr Becker!“, hatte Hassinger trocken festgestellt und dabei auf seine schärfste Waffe im Kampf für einen ruhigen Nachmittag gedeutet, seine bereitstehende Aktentasche. Becker wusste aus langer Erfahrung, dass nun äußerste Vorsicht und enormes Feingefühl angebracht waren. Ohne Hassinger keine offene Halle, ohne offene Halle kein Stapler und ohne Stapler keine Ladung.  Eine kleine Geschichte hatte meistens geholfen, auch wenn Hassinger ahnte, dass in Beckers „Notgeschichten“ kaum ein Fünkchen Wahrheit war und er den Erzählungen noch weniger glauben konnte als den Wettermeldungen in seiner geliebten Tageszeitung. Aber er fand es einfach lustig! Peter Becker lief zur Hochform auf. Er bemühte wie üblich seine beiden Kinder, die für den Mathematikunterricht noch dringend einen Würfel basteln mussten, denen aber der Klebstoff ausgegangen war. Er baute die Schwiegermutter mit ein, die für ihren Mann noch dringend ein Medikament aus der Apotheke brauchte, damit dieser Mann schlafen konnte und nicht ihre Nachtruhe störte. Und er berichtete von einem Freund, der sich mit der Ehefrau ein wenig in die Haare geraten war, in dieser Nacht deshalb unbedingt bei ihm, Becker, übernachten wollte, den er aber nicht gern mit seiner eigenen Frau allein ließ.  „Alle diese Menschen werden vergeblich auf mich warten, wenn ...!“ Der Schluss seiner Geschichte war nicht mehr nötig, denn Hassinger hatte schon nach dem Päckchen Kaffee gegriffen und dann die Lagerhalle wieder aufgeschlossen. Nun hatte Peter Becker also die Ladung, die er nach Köln bringen sollte, und dieser Erfolg war zumindest einen Pott Kaffee auch für ihn wert.  „Na, eure Eltern haben euch wohl hier vergessen?“, meinte er lachend, als er an zwei etwa zehnjährigen Jungen vorbeiging, die mit einem kleinen Ball zwischen den parkenden Pkws spielten.  „Wir sind doch die Parkplatzwache, und da haben wir keine Zeit, da drin rumzufuttern! Außerdem ist es echt ätzend in dieser komischen Kneipe!“ Listig lächelnd sah der blonde Junge Peter Becker an. „Na, was ist? Sollen wir auf deinen Schlitten aufpassen, Trucker?“  Ein Euro war als Tarif hier an der Autobahn durchaus angemessen, außerdem wollte Peter Becker natürlich gern ein junges Unternehmen in der Gründungsphase unterstützen. Der Bewachungsvertrag hatte allerdings einen kleinen Haken. „Wenn unsere Eltern kommen, müssen wir aber los, okay?“  Auch damit war Peter Becker einverstanden. Grinsend lief er zur Raststätte, ihm gefiel die Tatsache, zum ersten Mal in seinem Leben zwei Bodyguards verpflichtet zu haben. Dass sich dieser nur eine Euro als besonders gute Investition erweisen sollten ahnte er zu dieser Zeit noch nicht.  Fünf Minuten lang rollten sie noch ihren Ball über die Kühlerhauben der beiden elterlichen Fahrzeuge, dann zog Eric, der Junge mit den dunklen Haaren, seinen Freund zu Boden. „Alter, da stimmt was nicht!“  Zwei Männer im feinen Zwirn, die mit einem 190er im Lkw-Bereich parkten? Und die sich nun unauffällig-auffällig einen Lkw ansahen? Das passte nicht. „Mann, das ist doch unser Truck!“, flüsterte Sven schließlich, als sich einer der Männer eine Zigarette anbrannte und die Gegend beobachtete, während der andere die Tür öffnete und dann im Führerhaus verschwand.  „Jetzt müssen wir uns die Kohle echt verdienen!“, vermutete Sven, doch Eric hörte ihn nicht, weil der schon im Kofferraum des Autos seiner Eltern kramte. Eine Waffe musste schnell gefunden werden, eine wirksame noch dazu. Deshalb schieden Lego-Bausteine und Playmobil-Figuren genauso aus wie T-Shirts und Spielkarten. Und mit Federballschlägern gegen einen Truck kämpfen? „Ich hab’s!“, jubelte Eric kurz darauf, denn im Kosmetikkoffer seiner Mutter hatte er etwas sehr Interessantes gefunden.  Der in Beckers MAN sitzende und mit dem Zündschloss ringende Mann fuhr zusammen, als zuerst der Kopf eines Kindes vor, und dann eine endlose, weiße Schaumschlange auf der Windschutzscheibe auftauchte. „Achtzehn Uhr, München, das Haar sitzt immer noch!“, rief Eric, dann sprang er vom Lkw und rannte mit Sven davon. Der Mann im Lkw beging einen verhängnisvollen Fehler, als er der Meinung war, den Scheibenwischer einschalten zu müssen.  Hatte er vorher wenigstens noch etwas erkennen können, verbreitete sich der Styling-Schaum nun über die ganze Scheibe. Bildausfall auf der gesamten Breite also. „Verdammte Bälger!“, fluchte er, dann startete er das Fahrzeug trotzdem. Das hätte er nicht tun sollen, wirklich nicht. Dem Truck nebenan konnte er noch ausweichen, dem plötzlich vor ihm stehenden allerdings nicht mehr. Zurücksetzen? Fehlanzeige! Auch hinter ihm hatten sich zwei Fahrzeuge quer gestellt, blockierten die hintere Front.  „Verdammter Mist! Was soll der Schwachsinn!“ Verstehen konnte der Mann nicht, warum plötzlich ein so dichter Verkehr herrschte und alle Welt unterwegs zu sein schien. Ihm wurde aber einiges klar, als ihn jemand an der Schulter und den Haaren aus dem Wagen zog, neben seinen ebenfalls schon außer Betrieb genommenen Kumpan auf den Asphalt legte und eine Kinderstimme sagte: „CB-Funk ist was Feines, da kann man ganz schnell ganz viele Freunde holen! Fehlt nur noch Cobra 11!“  Cobra 11 kam nicht, dafür rollte ein Streifenwagen der echten Autobahnpolizei heran. Und Peter Becker stand plötzlich neben ihnen, außer Atem, ziemlich aufgelöst, aber sehr zufrieden.  „Sorry, Meister, aber mit einem Euro reichen wir nicht, wir müssen noch mal nachfassen! Der Schaumspray kostet zwei neunundneunzig, und den müssen wir meiner Mutter ja ersetzen!“  Eric hielt den Zehn-Euro-Schein gegen das Licht, klopfte dem unendlich dankbaren Peter Becker auf die Schulter und meinte augenzwinkernd: „Wenn es wieder mal so klappt, wir sind jederzeit für dich da!“




BUCHTIPP:

Aschenbrödel